Umkehrungsopfer eines derzeitigen Herbstes in Berleppo in Ablehnung geregelter Mahlzeiten und Konzert-Abonnements

p1050025

Dieser Frühling vormals geboren aus Kuckucksrufen und Lehm
aus Strawinskys Atem seine Flugfasern schickt er
von Ost-Aleppo nach Süd West Nord und weiterwärts
hierher ins Brot&ButterBerlin wo auf Hecheln und Hauchen kehliges Röcheln
wartet keine Menschenseele die es nicht ewig schon kostet probt probiert schmeckt
Klangsättigung in der Hauptstadt als sei übergenug Fülle der Lüfte
Hörsättigung in der Hauptsache als sei übergenug Innenohr ob all des Schneckengangs
als sei genügend Sonnengeflecht und zu viel baumelndes Herz am seidenen Strick
als drohe der Stadtkörper zu bersten im Spannungsraum
zwischen zu wenig Unterkunft und noch weniger Auskunft und Auskomm
wer schmeißt denn da mit Geld und Komplimenten mit Worten und Lehm
die Sprachen bleiben kaum bei sich so ganz allein
könntens wohl Wechselbälger ururgrundfürchterliche sein
es braucht keinen Atem Strawinsky nicht noch Dirigat so scheints
das Übervolk leidet abermals an Unterverfolgungszucker
leidet Mangel an bienenfleißiger süßer Philharmonia
Bernsteins Frühlingsopfer verklumpt in den Händen
schwer sinken sie ihm Schwere muss er heben Schwerstdirigent wird man so
Pinas Frühlingsopfer gesäugt von Säuglingsviertelwesen fraßmündigen
achtfüßigen und halblebrigen Sachlageerscheinungen Schwersttänzer wird man so
Ost-Aleppo spiegelt wieder das Echo schwachbrüstiger westlicher Musik
das Gelärme das Kampfesgeblase das Niedergetrommle
und darin das Lebensklügersein zusammengehalten von Dullis
von Klammern und Klemmen die Orchesterklangkörper
verzieren mit ihren Figuren unsere Städte und Gemeinden
sich selbst sind sie die allernächste akustische Garnitur das Hemd gewandet ins Haus
Musik Musik Musik
Applaus Applaus Applaus
als sei unser Dasein uranfänglich vollauf gesichert
das wenigstes wollen wir annehmen
in einem Häusle mit Garten drum herum mit Bäumen und Beeten
im Haushalts- und Spielezimmer
rauchte Marlene Dietrich hörte Radio
und wieder und wieder Le Sacre du Printemps
dazu eine Tasse Kaffee schwarz am Morgen
zwei Katzen Flüchtlingsgäste und der Mann
der seine weglose Liebe hin und her schob auf dem Servierwagen
von Zimmer zu Zimmer Marlene vor dem totalen Gefecht
wusste nicht wohin damit schließlich eine Fehlanschaffung
dieser zischende Schnellkochtopf Remarque Rudolf Sieber Gabin
dieses versalzene Gericht des Paradieses Henkersmahlzeit
weder Shanghai Lily noch Lamplight Lili kam zurecht
mit so viel Schmackeduzchen Hühnersuppe und Leberwurst
du weißt ja nicht wie magenschwer und quer du liegst Berlin Berlin Berleppo
wo sind dein Galgenhumor dein Kästner Kerr deine Waldoff dein Hollaender Tauber
dahin dahin dahin Musik Musik Musik
du hast sie rotieren und laufen lassen anecken in deiner Auffangschale
du hast sie abgespeist nicht wiedererkannt verfremdelt zerfremdelt
du hattest Muse Berlin mit dir selbst mitsamt deinen Unhäusigen
ob sie dich verließen blieben bei dir oder gar erst zu dir kamen
mit Vorgeschichten und Nachreden in deine Lehmklumpengrube
du hast weit mehr verloren als gewonnen
Zerronnen
muss deshalb die Show immer weitergehn Musik spielt und spielt
wie wäre es wenn sie jetzt verstummte dass in Aleppo Licht gedacht und gesehen werde
dass die Welt drumherum nicht mehr irrträumt vom Wunder das einmal geschehen könnte
wie man weiß dieses Wunder gebar Wolfskinder fraß sie sogleich verdarb sich daran
Le Sacre du Printemps sieben acht Jahrzehnte
später mit Kaffeemaschine Kühlschrank Salatschleuder Bügeleisen wir Bedauernswerten
Europäer besitzen ja kaum noch etwas und alle Orchester ratlos tatlos tuten
spielen und spielen und spielen die Zeit rastlos zu Tode
und damit Ost-Aleppo ins Unerlöstsein
vor allem bittesehr uns aber nicht! weh weh weh! uns geht es auch nicht besser! so scheints
zu beißen haben wir weder Wirkliches noch Wahrhaftiges
wir kauen unsere Zähne ab an Blei- Kopier- und Rotstift
noch und nöcher Loch und Löscher in Straße Bahn in Zug und Bus
der Herbst in widrigem Genuss
scharrt und scharrt die Sonne aus jeglichem Himmelspfuhl
und lässt sie aufgehn unter unserem hiesigen heimeligen Horizont
für Dalienwachstum Sternenastern Löwenmaul für Lampionblume
und Arniakamillcalendula für die Gesundungskraft der Lasuren
der balsamischen Tinkturen und Organuhren für Seife aus Aleppo
in annehmbare Formen und Förmchen gegossen das sieht nach Essen aus
Le Sacre du Printemps in jeglicher Erdenblutnässe
in Herzbrotlsteingemengegelage und Verwerfungsschichten
Le Sacre labt sich an den Gesetzen westlicher Musik wieder und wieder Le Sacre lebt auf
gespielt von Haushalts- und Besenkammerorchestern
die besser doch schwiegen zum stummen Lied
das jede untote Seele flugs zur Besinnung brächte
wie wenn ein Wunder geschähe und Leonard Bernstein fände
ein zweites Schweißtuch Angelikawurzel blutstillende Mittel
in seinen Jackentaschen plötzlich als sähe Pina
wer oder was vor ihren Augen den Stolperkreis jäh durchbrach
beim Heben und Senken des Korbes der Blütler in der Brust
Und wieder geht die Maid zur Biegung des Wegs
und wieder zeigt sich dort der Schneider
ohne Hosen ohne Röcke ohne Brautkleidstoffe
schnell naht er winkt überbringt diesen winzigen Koffer
und es tauscht die Maid sich ein gegen das Köfferchen
mit dem man fliegen kann über Wasser und Landzungen
ganz Syrien ist dafür zu haben zusammengefaltet plattgemacht
ein aschweißer Falter gefältelt gecrasht plissiert abgebügelt
es passt in diesen Koffer aus Aleppo der Duft
die allmenschliche Unsterblichkeit
wie ein Hemdkleid das abwechselnd tragen
Marlene und Pina und das Opferkind das komme
der Weltendrehtür nah in diesem Sommerherbst
mit gegenläufiger Tanztendenznatur
Denn wenn das Opferkind nicht weiß
was noch werden soll aus uns endlich vor allem hier in Lehmleberberlin
in Templinkötzschenbrödawienschwerinbautzenköthenneuruppin
wie lange der Treibstoff noch reicht in Berleppo die Nieren noch mitmachen Galle und Milz
dann wirds wohl der Winter wissen und kommen und uns holen ganz sicher
hereinbrechen und uns fressen ganz bestimmt uns Musikwurstgenießer
wir leiden ja Hunger wir darben es knurrt in uns und schnurrt raubtierisch
wir wissen ja ganz und gar nicht mehr weiter als von gestern bis heut
als vom Tellerrand bis zum Untertassenklapperdeckchen bis zum Ende der Gnadenfrist
sonst spielten ja unsere Orchester nicht immer und immerfort diesen Krach dieses Fauchen
die eigengesetzliche westliche musikalische Verlegenheit mit Tönen zuzudröhnen
diese Pein sie lärmt wie das Brummen der Eierkoppfliege im Magen
im gallfarbenen altweibrigen jungmännrigen Vorwinterherbst
O je was müssen wir leiden das Ungewisse im Innern die ganze Welt um uns herum
geizt mit Überlebenscoupons und ist stattdessen höchst spendabel mit Frühlingsopfern
ach wie ists möglich dann sterben müssen auch wir
Oder???
urplötzlich
unvermittelt
schlagartig
viel früher als angenommen
von jetzt auf gleich
mitgefangen mitgehangen
fehlgesondert
ausgeordnet
durch die Bank weg
wieso weshalb warum
He Komplize Vorzugsbehandler! machs weniger kompliziert es geht doch auch ganz einfach
wir waren doch hier zuerst etwas eher höher schneller präziser langlebiger strapazierfähiger
drum haben wir Vorrang gehen vor
denn wir gingen geordnet voraus bestellten Boden und Tagwerk Aufgebot und Pfannekuchen
brachten unter Dach und Fach in trockne Tücher und Butter bei die Brote sind rundgelaufen
musikalisch gebildet sprachlich versiert körperlich trainiert erkenntnisorientiert
wir haben an Ort und Stelle vor Ort auf der Stelle doch alles richtig gemacht
die Nase aus dem Wind genommen gesenkt die Innenohrtemperatur uns beschieden
anwesend in der Zeit flexibel weisungsgebunden aufmerksam im Rahmen des Machbaren
im Großen und Ganzen ganzwegs und halbwegs ins beste Verhältnis ausbalanciert gefügt
nicht über die Stränge geschlagen noch über die Strenge gerochen noch uns ausgesprochen
Und nun was nun
wo bleibt die Belohnung unser Hierseinsehrenbescheid das Exklusivduldungspapier Klasse I
Hunger Hunger betäubender Hunger Durst Durst erstickender Durst
Musik Musik Musik die spielt und spielt und frisst sich in Wolfskinderohren
Wird Aleppo verloren sein zu fern zu nah oder unerhört!! gar wir???
Kuckuck im Herbste nun sage mir …

© Ina Kutulas
Berlin, 29.September / 2.Oktober 2016