Die untergründige Zweite Existenz des b-flat

Die wundersamsten Veränderungen sehen häufig zunächst gar nicht nach einem Zweiten Leben aus. Vor allem nicht, wenn’s keine Fenster zur Straße gibt und somit keinen Ausblick. „Aber dieses b-flat gefällt uns eigentlich noch besser. Auf seine Art …“, sagt Jannis Zotos, Musiker und langjähriger Chef der Jazz-Bar b-flat. „Jetzt gehen wir in den Untergrund!“

Besucht man das b-flat nächstes Mal, dann könnte einen durchaus der Hauch einer inspirierenden Zeit anwehen. Inspirierend, weil schwierig und trotzdem künstlerisch gelebt. Wie vor fast hundert Jahren, als zig Musiker in Athen in Kellerlokalen spielten und sangen und die Zuhörer beim Zuhören nicht an einen Nachhauseweg denken mochten. Meistens stieg man in diese Zuflucht zur Musik mitten in der Stadt einige Stufen runter, ins Souterrain. Ein Lied aus diesen Zeiten, „Fünf Griechen in der Hölle“, könnte man im Ohr haben, wenn man sich das vorstellen will. Es kann auch Jazz sein. Jannis Zotos und etliche seiner Musiker-Kollegen vermögen „Fünf Griechen in der Hölle“ und noch viel mehr leichterdings zu spielen, auf unterschiedlichste Art und Weise. So, wie sie es seit 20 Jahren im b-flat tun, das für einige in Berlin Kult-Status hat, ein Ort, zu dem man sich gern hinbegibt, um dabei zu sein, wenn Jazz zu hören ist, vor allem, aber nicht nur, sondern auch griechisches Rembettiko, Blues, wenn Songwriter-Abende oder – sehr selten und eher die Ausnahmen, die die Regel bestätigen – besondere Lyrik-Performances oder Filmvorführungen zu erleben sind oder die Stühle ganz beiseite geräumt werden für eine besondere Sache.

Das b-flat ist immer wieder für etwas außerordentlich Kulturvolles zwischen Büros, Kleider-, Schuh- und Schmuckgeschäften zu haben und bedeutet als solches eine Wohltat, um den Kopf von peinigenden Fragen nach dem sinnvollsten Erkennungswort auf dem T-Shirt frei zu bekommen. Das b-flat ist eine Instanz. Das b-flat ist Rettung vor dem Motivationstod des Innenstadtherzens. Das b-flat ist ein schützenswerter Topos, unterstellt der Obacht und Fürsorge seines Publikums. Immer wieder kommen auch Touristen hereingeschneit, die „solche Musik“ noch nie gehört haben und deswegen bleiben bis nach dem letzten Lied und sich später viel zu erzählen haben. Das b-flat ist kein Blue Note, aber es lässt daran denken, in seiner Zweiten Existenz vielleicht noch mehr, und es findet sich über diese Brücke im Kopf verbunden mit aller Welt. Das b-flat hat seinen Namen der Kürze wegen, könnte aber auch heißen Danny Bensusan is in.

Oder The Zotos Brothers. Im März diesen Jahres sahen sich Jannis & Thanassis, die „Väter“ und Betreiber des b-flat allerdings jäh mit der Tatsache konfrontiert, dass der Eigentümer ihnen den Mietvertrag nicht verlängert, was das kurzfristige Aus für das b-flat bedeutete und somit einen Herzinnenstadtinfarkt. Schlecht für die Rosenthaler-Straße, in der sich die leise Wehklage eines „The Thrill is Gone“ hätte urplötzlich unterschwellig manifestieren können, fortan, und diese Straße verändern, langsam, Tag für Tag, ihr den Atem und die Lust nehmen, sie inspirativ ausbluten lassen, in ihrer Geschäfte-Büros-Geschlossenheit ersticknüchtern. Vielleicht kommt das noch. Die Rosenthaler könnte vergrauen, was sie an sich nicht verdient hat. Denn die Rosenthaler insbesondere hat was von einem Verbindungsweg zwischen den Zeiten, zwischen Übermorgen und Vorgestern, als „die beste Freundin mit der besten Freundin“ Seit an Seit Lieder sang. Der Verlust des b-flat ist für die Rosenthaler definitiv ein Manko, das Zünglein an der Waage womöglich, das dazu führt, dass man alsbald durch diese Schneise nur noch durchdurchdurch! muss, aber keine Verbindung mehr bekommt zwischen Zeiten. Nachts schon gar nicht. Von einem kreativitätsbedingten Momentverweilen lebte sie im Grunde. Vielleicht ist das jetzt aus und vorbei, die Straße weiß es nur noch nicht. Die Rose verblüht. Thalfahrt. Danach ist die Rosenthaler flach. An sich wäre es besser, das b-flat bliebe gleich dort, in der Nr. 13, damit die Straße was hat, sich daran aufzurichten, wenn sie irgendwann in Zukunft abermals wiederbelebt werden muss. Musik ist ein gutes Fundament.

Die Straßenbahnen, die auf der Rosenthaler Straße ganz selbstverständlich fahren, schienen Ende 2015 draußen vor den großen Fensterscheiben nach linkerhand und rechterhand steil ins Abgrundtiefe zu sausen. Dem b-flat riss es fast den Boden weg. Ende der Existenzgrundlage oder Frühpensionierung. Auswandern. Dichtmachen. Oder weitermachen. „Die Nacht“, sagt N., „ist nicht von vielen zu machen. Jannis ist einer, der die Nacht größer machen kann, weiter, seit langer Zeit. Es gibt nicht viele, die das können. Sie bleiben stehen in der Nacht, und so eine Art von Nacht ist eng; für immer bleiben sie z.B. uninteressierte Kellner, die immerzu stöhnen, dass sie kellnern müssen, anstatt … Jannis hat immer Musik gemacht, hat immer diesen Ort offen gehalten und mit Leben sich füllen lassen, hat der Nacht das gegeben, weshalb man sagt: sie ist nicht nur zum Schlafen da. Hat immer Musik gemacht. Und noch immer macht er Musik, öffnet den Ort für Musik, und der Ort öffnet sich für Musik.“

Es ist kaum anzunehmen, dass in die bisherigen Räume etwas Geistreicheres als das b-flat einziehen wird. Mit Gewissheit aber geht es in 8 Minuten Entfernung, Dircksenstraße 40, eine Treppe runter und für das b-flat weiter. Denn urplötzlich wurde aus der zunächst völlig unfreiwilligen und lästigen Veränderung eine recht schnell mit Elan angenommene Herausforderung. „Wir hatten schon länger darüber nachgedacht, wie wir das musikalische Programm erweitern“, erwähnt Jannis Zotos. „Und jetzt, wo wir in die neuen Räume einziehen, nachdem wir dort ein bisschen umgebaut haben, böte sich idealerweise auch ein kleiner Umbau des b-flat-Programms an. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass in der Dircksenstraße in Zukunft noch anderes zu hören sein wird. Aber man soll nicht über Ideen sprechen, dann wird nichts draus, sondern man soll sie verwirklichen. Dann hat man was zu sagen. Sagen wollen wir ja aber nicht so viel, sondern Musik machen.“

Aufgegeben wird nicht. Im Gegenteil. Jannis Zotos steht vor der Eingangstür zum zukünftigen „Fünf-Griechen-in-der-Hölle“-Paradies – das aber weiterhin b-flat heißt –, schaut zum Himmel und zeigt gleichzeitig da hin, wo es nach unten geht. Als seien die Verhältnisse auf den Kopf gestellt, zur Abwechslung.

Man kann sich also – noch gestresst von der Arbeitswoche oder weil man umziehen musste oder weil man nicht zuhause hocken will -, steigt man die Stufen zum b-flat hinab, umso mehr sagen: Runterkommen, abtauchen, der hektischen Welt „da oben“ für eine Weile entgehen, ausatmen, getrost denken: „The Thrill is Gone“, sich zurücklehnen in dieser Musikspiel-Hölle und den, der alle Weltgeschicke lenkt, einen guten Mann sein lassen. Hin und wieder wird er wohl zwischen den Gästen sitzen, vergnüglich mit den Schuhspitzen wippen und vielleicht ein Gesicht machen, als hätte er Danny Bensusans Gestalt angenommen. Man wird nie weggehen aus dem b-flat und das Einatmen vergessen haben. Man ist geöffnet für den nächsten Tag.

Die Welt hat sich ein bisschen verschoben, aber es gilt nach wie vor: Auf in’s b-flat, den Ort, wo Himmel und Hölle sich Guten Abend sagen! Tagsüber blühen die Rosen, nachts die Rosen der Nacht. Der Übermorgen dämmert.

 

12.07.2016