Die ganz andere Aufteilung der Welt

Das Paradies auf Erden können wir jetzt schon haben. Nicht nur eines, sondern mehrere. Viele. Für jeden das ihm genehme, entsprechende.
Die vielen Einzelabstimmungen über Jahre und Jahrzehnte hinweg über dies und das und jenes sind unnütze Zeitverschwendung und das damit verbundene Leiden des Menschen an verschiedensten Unzulänglichkeiten und Zumutungen dauert unnötig lange an. Zum Glück auf Erden könnte man schon alsbald gelangen.
Warum erst Brexit ja oder nein, Kindergeld ja oder nein, Raucherlokale ja oder nein, Hundedies und -das ja oder nein, Atomkraft ja oder nein, Fracking ja oder nein, Plastiktüten ja oder nein, Grundgehalt, Kopftuch, Handschlag, Grexit, Ochi, Buchpreisbindung, Integration, Hinterhof- und Baumscheibenbegrünung, TTIP, Sterbehilfe, Schulsystem, Wasserprivatisierung, Schürfrechte, Bezahlklos in der Schule, Bauchfreiheit, Friedhofbebauung, Krawattenzwang usw. usf.?
All diese Abstimmungen sind möglicherweise ohnehin Kokolores. Gestern las ich in einem Beitrag: “Am vergangenen Freitag haben 51 von 59 Leitern der Stadtteilschulen das Hamburger Schulsystem mit seinen zwei Säulen Gymnasium und Stadtteilschule für gescheitert erklärt.“
Jetzt urteilen schon Leitern über Schulfragen! Ich erinnere mich, dass es vor Jahrzehnten in Griechenland bei einer Wahl hieß, dass selbst Tote zur Abstimmung gegangen seien. 2013 war das über Simbabwe zu lesen. Unmögliche Zustände!
Einmal sagte mir jemand: “Durch Dicke fühle ich mich bedrängt.” Diese unerträgliche Qual! Dieses Leid! Dieses ewige Unerlöstsein! Wie traurig!! Nichts konnte dem bisher abhelfen. Was immer schon alles in der Welt geschrieben, gelesen, vorgelesen, aufgeklärt und analysiert wurde, wie viel Schulunterricht, Workshops, Seminare es auch immer schon gab – weiterhin gibt es Menschen, für die es unvorstellbar ist, mit bestimmten anderen Menschen zusammen zu leben, neben ihnen in Verkehrsmitteln zu sitzen oder im Restaurant an einem Tisch, beim Arzt im Wartezimmer oder im selben Hotel ein Zimmer zu bewohnen. Oder Menschen, die – könnten sie wählen – niemals mit einem dickeren Erdenbürger zusammen gesehen werden wollen. Oder mit einem Einarmigen. Oder mit einem Mandeläugigen. Oder mit einem Weißhaarigen. Oder mit einem Pelzmantel- oder Jesuslatschen-Träger. Oder mit einem Kariertbehemdeten oder Langnasigen oder Androgynen, Ungeschminkten, Geschminkten, neben einem Politiker oder Weltmeister oder neben einem Außerirdischen. Nein, nicht neben dem!
In Brüssel soll angeblich eine Maßnahme ergriffen worden sein, die meiner Meinung nach nicht weit genug geht: Bei der Passkontrolle am Flughafen gäbe es zwei Reihen. Nur! In der einen sollen sich diejenigen anstellen, die hellhäutig sind, in der anderen diejenigen, die einen dunkleren Teint haben. Ich kann das kaum glauben. Viel zu kompliziert! Es ist doch sehr schwierig, sich selbst einzuordnen. Wann ist man hell, welche Hauttonabstufungen gehören zu: HELL, wann gehört man zu DUNKEL? Um einschätzen zu können, ob das Handgepäck genügend klein ist, um als Handgepäck kostenlos mitgenommen werden zu dürfen, gibt es ein Gestell am Flughafen, da kann man das Handgepäck reinstecken und sehen, ob es zu groß ist oder eben nicht. Eindeutige Sache. Prima. Desgleichen gibt es die schon halbwegs gute Erfindung des Stichtags. Diejenigen, die bis dann und dann geboren sind, zählen zu denen, die bereits eingeschult werden können, die einen Tag später geboren wurden, müssen eben noch warten, wenn ich nicht irre. Ob das an allen Schulen oder generell noch strikt gilt, weiß ich nicht. Falls es ein flexibleres System gibt, mag das auch gut sein. Ob in Brüssel am Flughafen – vorausgesetzt, das stimmt überhaupt mit den zwei Reihen – ein Hauttonabgleichmustertableau vorhanden ist, nachdem man feststellen kann, ob man hell genug oder dunkel genug für die eine oder andere Reihe ist?
Diese Entscheidungssysteme sind im Ansatz gut, aber es resultieren Probleme daraus, erhebliche. Zwei-Klassen-Systeme zum Beispiel. Langweilig. Sie bringen viel Unglück. Im Grunde leiden die Menschen daran, dass sie eingeordnet werden. Das löst Zorn aus, Proteste, Hass, unnötige Unruhen, Gefühle von Bedrohung und anderes mehr, das vielen Menschen keine Freude bereitet. Sie entwickeln Aversionen. Auch gegen die Systeme. Und dann muss man umständlich gewaltsam gegen sie vorgehen, um sie zur Ruhe zu bringen. Das ist viel zu mühselig. Mir persönlich hat es nie gefallen, wenn mir gesagt wurde: du bist so und so und darfst hier nicht rein, gehörst hier nicht her, musst da oder dorthin, bist das und das. Ich würde die Zuordnungsentscheidung gern selbst treffen. Ich hätte gern die Wahl und davon reichlich.
In Spiegel online gibt es heute einen Beitrag, durch den es ermöglicht werden könnte, dass Menschen nicht nur eine Entscheidung darüber treffen, ob sie für oder den Brexit sind, sondern sie finden dort Antworten auf Fragen vorgegeben, gleich 10 Stück, und so gar Begründungen und Überlegungen dazu, warum man diese oder jene Antwort geben wollen würde oder diesen oder jenen Gedanken äußern. Die Idee ist sehr gut. Aber das Angebot recht mager. Spiegel Online hält die Menschheit zu knapp im Hinblick auf die Versorgung mit Meinungsbildungsvorlagen. Ein Beispiel mehr. Ich erkenne den guten Vorsatz, die eifrige Bemühung, aber in der Ausführung der Idee …, da hapert es noch gewaltig. Könnte ich jetzt wählen, würde ich sagen: Nie wieder Spiegel Online!, und ich könnte meine Meinung sogar noch einmal ändern. Eine andere Wahl treffen. Beliebig oft.
Für jeden könne keine Extrawurst gebraten werden, heißt es. Aber das wäre – im übertragenen Sinne – womöglich die Lösung!
Man soll die Menschen nicht scannen, verorten, lokalisieren, vermessen, abwiegen, aushorchen, sie einordnen und ihnen dieses und jenes zuweisen, sondern man soll die Menschen nach Herzenslust wählen lassen! Nicht nur, wie sie leben wollen, sondern vor allem: mit wem.
Für den Brüsseler Flughafen schlage ich deshalb vor: eine Reihe für hellhäutige, eine für dunkelhäutige Menschen und eine gemischte, wo sich alle anstellen können, die in dieser am liebsten stehen würden. Ich wüsste tatsächlich gern, wie die Wahl ausfallen würde! Es kann ja nicht weiter schwierig sein, dieses Hautton-Passkontroll-System-Modell in Brüssel zu realisieren. Schokoladen mit unterschiedlich starkem Kakaogehalt gibt es ja auch: weiße, sehr dunkle, hellere, dunklere. Gegenüber Schokoladentafeln sind Menschen sogar weitestgehend begünstigt, denn Menschen können sich die Schokolade wählen, die ihnen zusagt. Schokoladentafeln müssen sich so machen lassen und einordnen lassen und verpacken und bezeichnen lassen, wie der Mensch es will. Die Menschen haben ein riesiges Glück, dass sie nicht von Schokoladentafeln, Stehleitern, Trittleitern, ausziehbaren Leitern, Bibliotheksleitern, Halbleitern, Schornsteinfegerleitern, Hühnerleitern, Feuerleitern, Strickleitern befehligt und dirgiert werden, würde ich meinen. Aber wer weiß, vielleicht ist das längst der Fall und mir ist es nur nicht bewusst geworden.
Gut gefällt mir Nikos Engonopoulos’ Gedicht “Das Alphabet der Blüten”. Jeder Vers eine Frage und eine Entscheidung. Das oder das? Das. Da kann man das Entscheiden schon mal üben. Engonopoulos dachte weit voraus. Im wirklichen Leben ginge es dann so vor sich, dass zuerst grob entschieden wird, dann feiner.
Menschen entscheiden gern. Angeblich sind sie lieber gegen etwas als für. Macht nichts. Wenn man weiß, was man nicht will, wird sich über kurz oder lang schon herausstellen, was dem, was man will, näher kommt. Es kann dann immer detaillierter betrachtet und entschieden werden. Kein Problem. Wenn es dem Weltfrieden, dem friedensstiftenden Getrennt-Voneinander-Sein des Menschen dient, ist es gut, denn die Menschen werden überglücklicher sein. Dünne brauchen nicht gezwungenermaßen zusammen zu sein mit Dicken. Leicht Übergewichtige nicht mit stark Übergewichtigen. Menschen ohne Sommersprossen nicht mit Sommersprossigen und nicht mit Sprossenwänden. Menschen mit wenigen Haaren nicht mit Wuschelköpfen, Kraushaarige nicht mit Glatthaarigen, Schwimmer nicht mit Nichtschwimmern, Hundeliebhaber nicht mit Hundehassern, Menschen mit Bluthochdruck nicht mit Papageienzüchtern, Bienenzüchter nicht mit Christen, Geologen nicht mit Hooligans, Nazis nicht mit Legastenikern, Sehende nicht mit Nichtschwimmern und und und … Welche Vielfalt in der Ausschließlichkeit!!! Aber damit nicht genug. Für diejenigen, die dünn sind und das Zusammensein mit Dicken glücklich machen würde, mit Sommersprossigen, Krebskranken, Schmetterlingsforschern, Hyperaktiven usw., für all diejenigen wird es Misch-Sektoren geben, für die sie sich entscheiden können. Für jede erdenkliche Spielart des für Menschen erträglichen Zusammenlebens einen Sektor! Und – als Sondergeschenk an die Menschheit: Jeder kann seine Entscheidung ändern und jederzeit in einen anderen Sektor wechseln.
Also: Machen wir’s kurz und nehmen die Aufteilung der Welt in Sektoren vor! Um dann zügig zum Entscheidungsprozess überzugehen. Es wird eine Weile dauern, bis alle Vorlieben und Abneigungen erfasst und aufgelistet sind. Falls ich dafür zuständig sein sollte, wird es noch ein wenig längern dauern, denn ich gebe mir immer große Mühe, möglichst alles zu beachten. Aber womöglich ist das gut und auch ein Aspekt der Menschheitsrettung, die doch noch glücken könnte. Wenn jegliches Bedürfnis des Menschen bekannt ist, erfolgt die Sektorenanlage auf den Kontinenten. Ich würde nicht darüber nachdenken, ob man statt der Erde lieber den Mond einteilen sollte oder den Mars, sondern ich würde gleich mit dem Planeten Erde anfangen. Auf dem Mars werden sich die meisten Probleme ohnehin nur fortsetzen. Das “Wie und wo der Mensch leben möchte” ist zumeist zweitrangig. Jemand, der nicht mit Diabetikern oder Schneckenexperten zusammensein will, wird froh sein, ihnen entkommen zu können, und sei es, dass er dafür in einen Sektor in Äquatornähe oder auf Grönland zieht. Wenn es ihm da nicht behagt, kann er ja in einen anderen Sektor wechseln, unter einer Bedingung: Dann auf Erden kein Gemaule mehr über Diabetiker, wenn notwendigerweise in Ausweichsektoren auch ein paar von denen registriert sind! Ist das gänzlich inakzeptabel, bliebe dann doch der Mars als absolute Ausweichmöglichkeit. Wer seine Aversionen gegen Dicke nicht loswird, hat – falls sich kein zusätzlicher Dicken-Ausweichsektor auf Erden finden sollte – irgendwann die Möglichkeit, nach hinter dem Pluto zu wechseln, denke ich mir. Es gibt noch reichlich Raum im All. Der Allmächtige hat Vorsorge getroffen. Sektoren, die in der Sahelzone liegen, könnten zudem akklimatisiert werden. Wie das bezahlt werden soll? Ganz einfach mit dem Geld, das andernfalls in Rüstung fehlinvestiert würde. Dieses Geschieße auf Erden, Entlauben, Begasen, Bombardieren, Veröden führt ohnehin nur in die Irre. Oder man stellt einfach Massen von Geld her. Es ist kinderleicht. Man braucht einfach Papier oder ein Material anderer Art und irgendwas, das darauf eine Zahl oder Zeichen abbildet. Man kann das auch virtuell machen. Dann muss man z.B. das Geld-Papier nicht mal mehr in die Hand nehmen. Das mit dem Geld ist eines der geringsten Probleme. Es geht auch mit Muscheln, Murmeln, Knochen, Steinchen, Kastanien und Eicheln, Knöpfen, Bohnen. Vorerst ist es schwieriger, für alle, die um nichts in der Welt einen passenden Sektor auf Erden finden können, weil es mit der künstlichen Akklimatisierung noch nicht so weit ist, eine Lösung herbeizuzaubern.
Ich persönlich bin derzeit mit Planet Lyrik bestens bedient. Ein Mensch weniger, der Entscheidungsschwierigkeiten hat. Ab und zu kommt der Kleine Prinz vorbei. Wir nähern uns dem Ziel: Glückliches All. Würde man in Brüssel den Quatsch mit der Hellhäutigen- und Dunkelhäutigen-Passkontroll-Anstellreihe sein lassen oder erst gar nicht damit anfangen, dann ginge es noch viel schneller, dass der Mensch endlich erlöst würde davon, falsch eingeordnet zu werden. Es läuft ohnehin wieder nur darauf hinaus, dass man irgendwann feststellt, dass niemand überhaupt die Idee hatte oder daran mitgewirkt hat, so eine Idee zu realisieren. Teilt uns nicht ein, Verdammte dieser Erde, sondern lasst einen jeden sich aufteilen!

© Ina Kutulas, am Tag der Brexit-Abstimmung